Nächster Halt: Zukunft
Gut für’s Klima und gut für’s Gefühl – eine Bahnreise durch die spektakulären Landschaften Norwegens
Nein, ich träume nicht. Es ist der scharfe Wind, der mir die Tränen in die Augen treibt. Aber es könnten auch Tränen der Ergriffenheit sein. Ich stehe ganz vorne am Schiff an der Reling. Vor mir, neben und hinter mir: Berge, Felswände und himmelhohe Klippen. Unter mir Wellen, die leise an den Bug plätschern. Und rundherum: Stille. Nur der Wind pfeift. Das Schiff fährt lautlos, gleitet fast, ohne Vibrationen. Fühlt sich unwirklich an. Wie im Traum.
Aber es ist ein trüber Vormittag im März und ich bin mitten auf dem Aurlandsfjord, in einer der letzten unberührten Fjordlandschaften Norwegens. Das überraschend Traumhafte und Ergreifende ist das Schiff: Die M/S Future of the Fjords ist ein ausschließlich elektrisch betriebener Katamaran im kühnen Design. Dieses extrem stylishe Ausflugsschiff für 400 Passagiere produziert Null Emissionen und belastet die überwältigend schöne Landschaft hier nicht mehr mit Abgasen, so wie es ihre Vorgänger getan haben. Was für ein gutes Gefühl! Geht doch! Hier ist die Zukunft des Reisens schon Wirklichkeit.

Wir hatten unsere Norwegen-Reise diesmal ganz bewusst als Reise mit öffentlichen Verkehrsmitteln geplant. Es sollte ein Test werden, wie viele Kompromisse wir machen müssten im Hinblick auf Komfort und Erlebnisqualität, wenn wir möglichst klimaschonend mit der Bahn reisen. Als Auto- und Motorradfahrer waren wir mit einer gewissen Skepsis von zu Hause mit der Bahn nach Kiel gestartet.
Nordwärts über das Meer
In Kiel lag schon das Fährschiff im Hafen. Seit Jahrzehnten verbindet die Reederei Color Line Deutschland und Norwegen im Liniendienst für Passagiere und Güter. Täglich startet die Seereise gegen Mittag. Wir stehen wie viele andere Passagiere an der Reling und genießen die Ausfahrt aus der Kieler Förde und später die Ausblicke auf die dänischen Inseln, die rechts und links in Sicht kommen. Beim Abendessen fährt das Schiff unter der Großen-Belt-Brücke hindurch. Immer weiter nordwärts geht es durch die Nacht, während wir schon in unserer Kabine in den Betten liegen und schlafen.

Das Einlaufen in den Oslofjord am Morgen genießen wir bis zur letzten Minute. Putzig bunte Bootshäuser stehen am felsigen Ufer. Darüber im Hang prächtige Villen. In vielen Gärten weht an den Fahnenmasten der Wimpel in den norwegischen Farben Rot, Weiß und Blau. Die Holmenkollen-Sprungschanze ist hoch oberhalb der Stadt zu sehen. Nach dem Anlegen spazieren wir von Bord und gehen zu Fuß durch Oslos Hafencity, das neue Stadtviertel Tjuvholmen, statt mit dem Shuttlebus vom Fährterminal zum Bahnhof zu fahren. Ralf mit Rucksack, ich mit Rollköfferchen schlendern wir am Wasser entlang durch die Morgensonne und staunen nicht schlecht, was für ein lebenswertes Quartier aus dem einstigen Hafengelände geworden ist.
Unser Zug für die Weiterreise steht bereit auf Gleis 12: „Bergen – via Hønefoss – Gol – Myrdal – Voss“ zeigt die Anzeigetafel. Und auf der mit einem Landschaftsmotiv lackierten Lok ist zu lesen: „Se Norge. Ta toget.“ – „Schau die Norwegen an. Nimm den Zug.“ Na, denn mal los! Einmal quer über das norwegische Bergland vom Oslofjord bis an die Atlantikküste, dafür braucht der Zug laut Fahrplan gut sechseinhalb Stunden.

Norwegens höchstgelegener Bahnhof
Hinter Gol bleiben die tiefen Wälder dann irgendwann zurück und der Blick öffnet sich weit über das Bergland der baumlosen Hardangervidda. Bei Geilo sind wir bereits auf 794 Meter Höhe. Reisende mit Skigepäck steigen aus. Und es geht noch höher. Einsame Skiwanderer ziehen ihre Spur im gleißenden Weiß. Jetzt kommt der Teil des Hochgebirges, den man ausschließlich mit der Bahn erreichen kann. Oder auf eigenen Beinen. Keine Straße führt nach Finse, dem höchstgelegenen Bahnhof Norwegens auf 1.222 Meter über dem Meer. Und auch nicht nach Myrdal, wo wir umsteigen. Wir fahren nämlich nicht direkt nach Bergen, sondern machen einen Umweg, der es in sich hat.
Ein Umweg, der es in sich hat

Wir nehmen die historische Flåmsbahn hinunter an den Aurlandsfjord. Der Zug aus grünen Wagons mit roten Plüschpolstern ist herrlich nostalgisch. Der gusseiserne Griff für die Notbremse ist liebevoll rot lackiert mit gelber Aufschrift nødbroms. Es geht los. Von 866 Metern im Hochgebirge windet sich der nur gut 20 Kilometer lange Schienenstrang bis auf Meeresniveau hinunter und ist damit eine der steilsten Eisenbahnstrecken der Welt. Der Zug quietscht in engen Kehren den Berg hinab. Bereits seit über achtzig Jahren fahren die Loks elektrisch. Die Fenster lassen sich öffnen. Wunderbar! Denn trotz Minusgraden wollen alle Fotos machen. Mal ist die Aussicht auf der rechten Seite, mal links. Der Kjosfossen Wasserfall, an dem der Zug einen extra Fotohalt macht, ist komplett gefroren.
Die knollige Eiswand ist in dicken Schnee gehüllt. Spielt mir die Fantasie in der Winterdämmerung einen Streich? Leuchtet es blau im Eis? Ein Troll vielleicht?
Im Zwielicht der Blauen Stunden steigen wir unten am Fjord aus. Die Berge sind nur noch eine hohe Silhouette gegen den nachtblauen Himmel und wir checken schnell ein im nahegelegenen Hotel.
Future of the Fjords
Mit leichtem Schneefall starten wir in den nächsten Tag. Unser Ziel heute: Bergen, das wir per Schiff, Bus und Bahn erreichen wollen. Die Unesco preist den Aurlandsfjord und den Nærøyfjord wegen ihrer Unberührtheit als Welterbe. Keine Straßen führen an ihren Ufern entlang. Man kann sie nur auf dem Wasserweg in ihrer vollen Pracht erleben. Die Schiffsverbindung von Flåm über diese beiden Arme des Sognefjords nach Gudvangen mit dem Anschlussbus nach Voss und Bergen gibt es schon lange. Neu ist das eingesetzte Schiff. Wir spazieren zum Anleger und sehen ein futuristisches schwarz-weißes Objekt auf zwei sehr schlanken Rümpfen. Ist das unser Schiff? Die M/S Future of the Fjords macht Eindruck in jeder Hinsicht. Noch ist sie über zwei dicke Ladekabel mit dem Kai verbunden. In nur 25 Minuten, so lesen wir, sind ihre Batterien geladen und damit fährt sie emissionsfrei bis zu 19,5 Knoten schnell. An Bord bietet sie auch ein ganz neuartiges Schiffserlebnis: Die verschiedenen Decks sind mit eleganten Rampen statt mit Treppen verbunden – ein geniales Design, das das Schiff komplett barrierefrei macht. Die Sightseeing-Fahrt durch die urwüchsige Fjordlandschaft ist an Bord dieses Schiffes ein wahrhaftig doppelter Genuss.
Weiter in unser Hideaway
Bus und Bahn bringen uns im Anschluss ohne lange Wartezeiten von Gudvangen nach Bergen. Nach so viel Natur und menschenleerer Landschaft ist der Trubel am Bahnhof der westnorwegischen Küstenstadt ein kleiner Kulturschock. Aber lange halten wir uns sowieso nicht in der Stadt auf. Wir fahren in unser Hideaway. Es liegt in Os nur 30 Kilometer südlich von Bergen. Mit dem Direktbus sind wir in einer Stunde in der kleinen Stadt am Bjørnafjord. Die letzten zwei Kilometer zum Hotel gönnen wir uns ein Taxi. Ab jetzt ist Chillen angesagt!

Genuss ohne Kompromisse
Nach der Sauna schwimmen wir gleich mal in dem Außenpool. Der scheint rein optisch in den Fjord überzugehen. Der Blick reicht über das Wasser bis zu den schneebedeckten Bergen in der Ferne. Es nieselt und wir genießen es.
Wie war das noch mit den Kompromissen? Welche Einbußen haben wir erleiden müssen auf dieser Reise mit öffentlichen Verkehrsmitteln? Schiffe und Bahnen haben uns komfortabel und auf höchst abwechslungsreiche Weise durch wunderschöne Landschaften bis an diesen traumhaften Ort geführt. Der Pool dampft und wir sind vollkommen entspannt. Nein, auch diesmal träume ich nicht. Es ist die Wirklichkeit. Und es ist einfach nur schön.
Feelgood Reisen
Nordeuropa nachhaltig und zu jeder Jahreszeit: Mit Feelgood Reisen reisen Sie klimaschonend mit dem Zug zum Polarkreis, um im Herbst und Winter Polarlichter zu bewundern oder im Sommer die nordische Natur im Glanz der Mitternachtssonne zu erleben. Städte- und Wanderreisen, Bahn- und Winterreisen sowie individuelle Rundreisen mit dem eigenen Fahrzeug in Skandinavien, in Finnland und in den baltischen Ländern sind unsere Spezialität – seit über 20 Jahren.
Autorin:
Birgit Bock-Schröder
Die Autorin gehört zum Team von Feelgood Reisen, arbeitet u.a. im Marketing und stellt sich bei Bedarf gern als Produkt-Testerin zur Verfügung.
Bilder:
© Feelgood Reisen