Overtourism: Wann ist viel zu viel?
Echte Begegnungen statt Massentourismus
Reisen erweitert den Horizont, schafft unvergessliche Erinnerungen und bringt Kulturen einander näher. Doch was passiert, wenn es zu viele Reisende an einem Ort gibt? In besonders beliebten Destinationen sorgt der Massenzustrom mittlerweile immer häufiger für Unmut bei der lokalen Bevölkerung. Die Grenzen des Wachstums sind vielerorts erreicht – oder bereits überschritten. Dieses Problem wird unter dem Begriff Overtourism zusammengefasst.
Overtourism: Wenn der Urlaubsort unter der Last der Besucher leidet
In zahlreichen Städten und Naturregionen rund um den Globus ist die Stimmung gekippt. Was einst ein willkommenes Zusatzeinkommen für die lokale Wirtschaft war, wird zunehmend als Belastung empfunden. Overtourism bringt eine Vielzahl von Problemen mit sich:
- Steigende Mieten und ein Mangel an bezahlbarem Wohnraum, weil Ferienwohnungen lukrativer sind als langfristige Vermietung.
- Verdrängung der Nahversorgung durch Souvenirläden, Cafés und Kettenrestaurants.
- Erhöhter Ressourcenverbrauch – insbesondere Wasser – was zu Engpässen führt, etwa auf Inseln oder in trockenen Regionen.
- Lärm, Müll und Umweltbelastungen, die die Lebensqualität der Einheimischen einschränken.
Das Phänomen ist keineswegs neu: Schon in den 1970er Jahren berichtete das Nachrichtenmagazin Der Spiegel über „Massentourismus“. Heute, in einer Ära von Billigflügen, Kreuzfahrtschiffen und weltweiten Serien-Hypes, spricht man von Overtourism – einer noch intensiveren und komplexeren Herausforderung. Die Gäste reisen individueller, landen aber weiterhin oft an denselben Hotspots.

Die neuen Treiber des Overtourism
Mehrere Faktoren haben den Trend zusätzlich verstärkt:
- Social Media: Instagram & Co. schaffen Sehnsuchtsorte, die plötzlich Millionen besuchen wollen – ein echter Motor für Overtourism.
- Serien und Filme: Produktionen wie „Game of Thrones“ haben Orte wie Dubrovnik in Kroatien, auf die Bucket List vieler Reisender katapultiert.
- Günstige Mobilität: Billigfluglinien und Kreuzfahrten machen das Reisen erschwinglicher denn je – oft auf Kosten von Umwelt und lokaler Kultur.
- Corona-Pandemie: Während eingeschränkter Fernreisen suchten viele Menschen Erholung in der Nähe, was in einigen Naturgebieten zu temporärem Overtourism führte.
Diese Entwicklungen zeigen: Die Vorstellung vom Reisen als „unschuldigem Vergnügen“ muss neu gedacht werden.
Tourismus: Wirtschaftsmotor und Belastung zugleich
Natürlich bringt Tourismus auch große Vorteile:
Er schafft Einkommen und Arbeitsplätze.
Er fördert die Finanzierung von Kulturstätten, Naturschutzgebieten und Infrastruktur.
Er bewahrt Traditionen, macht lokale Küche und Handwerkskunst sichtbarer.
Doch: Die Gewinne sind häufig ungleich verteilt. Während wenige stark profitieren, erleben viele die negativen Auswirkungen von Overtourism direkt im Alltag. Und auch Reisende selbst leiden, wenn sich der Traumurlaub im Gedränge und überhöhten Preisen verliert. Das eigentliche Ziel – eine positive Begegnung zwischen Gast und Gastgeber – gerät dabei aus dem Blick.

Wann ist viel einfach zu viel?
Die zentrale Frage lautet: Wie finden wir eine Balance zwischen Gastfreundschaft und dem Schutz des Lebensraums?
Klar ist: Irgendwann erreicht jeder Ort seine Belastungsgrenze. Je nach Kapazität, Umweltbedingungen und sozialer Struktur kann diese unterschiedlich ausfallen.
Eine nachhaltige Steuerung der Besuchszahlen ist daher essenziell – zum Schutz von Natur, Kultur und sozialem Frieden und zur Vermeidung von Overtourism.
Maßnahmen können sein:
- Begrenzung der Bettenanzahl: Obergrenzen für Hotel- und Ferienwohnungsplätze.
- Lenkung der Besucherströme: Apps, die Stoßzeiten sichtbar machen.
- Zeitfenstertickets: Regulierte Eintrittszeiten bei Sehenswürdigkeiten.
- Anreize zur Nebensaison-Reise: Rabatte oder Veranstaltungen außerhalb der Hauptreisezeiten.
- Förderung alternativer Reiseziele: Attraktive Angebote in weniger bekannten Regionen.
Ein Mitspracherecht der lokalen Bevölkerung ist dabei essenziell. Tourismus sollte nicht „über die Köpfe hinweg“ geplant werden, sondern gemeinsam mit denen, die ihn täglich erleben – so kann Overtourism vermieden werden.
Nachhaltige Reisegestaltung: Beispiel forum anders reisen
Die Mitglieder des forum anders reisen setzen sich seit vielen Jahren aktiv gegen Overtourism und für sanften, verantwortungsvollen Tourismus ein. Ihre Reiseangebote basieren auf folgenden Grundsätzen, die u.a. im Kriterienkatalog festgehalten sind:
- Regionale Wertschöpfung: Kooperation mit lokalen Partner*innen, Unterkünften und Guides.
- Nachhaltige Mobilität: Fokus auf Bahnreisen, Busse und die Vermeidung unnötiger Flüge.
- Schonender Umgang mit Ressourcen: Regionale Küche, ressourcenschonende Aktivitäten.
- Kleine Reisegruppen: Maximal 12–16 Personen, um echte Begegnungen zu ermöglichen.
- Gemeinsame Planung mit lokalen Expert*innen: Sie kennen die Besonderheiten und Herausforderungen vor Ort am besten.
So entstehen Reisen, die nicht nur schön, sondern auch nachhaltig und zukunftsfähig sind – ein direkter Beitrag gegen Overtourism. Begegnungen auf Augenhöhe, Respekt vor Lebensräumen und Achtsamkeit gegenüber den Bedürfnissen der Gastgeber stehen im Mittelpunkt – ein Gewinn für beide Seiten.

Tipps für faires Reisen
Was kannst du als Reisende*r selbst beitragen, um Overtourism zu vermeiden und fair zu reisen?
Hier einige praktische Tipps:
Was kannst du als Reisende*r selbst beitragen, um Overtourism zu vermeiden und fair zu reisen?
Hier einige praktische Tipps:
1. Vermeide die Hauptsaison
Die Sommermonate oder Ferienzeiten sind vielerorts die stressigste Zeit. Ein Besuch im Frühling oder Herbst ist oft nicht nur entspannter, sondern ermöglicht auch intensivere Erlebnisse – und hilft, Overtourism zu verringern. Hier haben wir einen Gastbeitrag bei „Anderswo“ zum Thema verfasst. | Beispiel: Die Toskana im Oktober zeigt sich ruhiger und farbenprächtiger als im Hochsommer.
2. Entdecke alternative Orte
Viele berühmte Sehenswürdigkeiten haben weniger bekannte, aber ebenso beeindruckende Alternativen in der Nähe. | Beispiel: Statt einer Gondelfahrt auf dem überfüllten Canal Grande in Venedig bietet sich eine Bootsfahrt auf kleineren Kanälen an.
3. Suche eigene Erlebnisse
Reise nicht nur für das perfekte Instagram-Foto. Suche stattdessen echte, persönliche Erfahrungen – jenseits der bekannten „Must-Sees“. |Tipp: Besuche lokale Märkte, kleine Museen oder nimm an einem Kochkurs bei Einheimischen teil.
4. Reise langsam
Plane genug Zeit ein, um Land und Leute wirklich kennenzulernen. Hektisches Abhaken von Sehenswürdigkeiten fördert Overtourism und vermindert die Qualität deines Erlebnisses. | Beispiel: Statt fünf Städten in einer Woche – lieber eine Region intensiv erleben.
5. Informiere dich vorab
Wer sich über lokale Gepflogenheiten, Verhaltensregeln und Herausforderungen informiert, zeigt Respekt – und wird selbst oft offener empfangen.
6. Unterstütze lokale Anbieter
Buche Unterkünfte, Touren und Restaurants direkt bei lokalen Betrieben. So bleibt mehr Geld in der Region und Overtourism wird durch breitere Verteilung der Besucherströme entschärft.
Fazit:
- Reisen neu denken – für alle Seiten ein Gewinn.
- Overtourism ist kein unlösbares Problem – wenn wir bereit sind, Reisen bewusster zu gestalten.
- Es geht nicht darum, das Reisen einzuschränken, sondern es nachhaltiger, gerechter und respektvoller zu machen.
- Statt „viel hilft viel“ heißt das neue Motto: Weniger ist mehr.
- Weniger Orte auf einmal, weniger oberflächlicher Konsum – dafür mehr echte Begegnungen, mehr Respekt, mehr Wertschätzung.
So bleiben die schönen Plätze dieser Welt nicht nur für uns, sondern auch für zukünftige Generationen erlebbar.
Bilder:
© Getty Images