Wandern in Großbritannien
Meine Eltern hatten eine Schwäche für die Britischen Inseln. Meine Mutter schwärmte für Irland (sie hatte Heinrich Bölls „Irisches Tagebuch“ gelesen). Mein Vater erzählte gerne, wie er an einem der allerersten Schüleraustauschprogamme direkt nach dem Krieg in Südengland teilnehmen durfte. Und auch, wie er Ende der 40er Jahre quer durch England bis hoch nach Schottland trampte – und trotz der zeitlichen Nähe zum Ende des Weltkrieges überall freundlich aufgenommen wurde. Doch meine Leidenschaft zum Wandern in Großbritannien entfachte von ganz alleine.
Nach dem Abi saß ich neben einem großen Stapel Reiseführer aus der Leihbücherei und brütete über der Entscheidung, wohin meine durch ganz Europa geplante Interrailreise mich führen sollte. Ich durchblätterte zunächst die Bücher über die Britischen Inseln. Kurze Zeit später war klar: ich wollte NUR dorthin! Und so begann es …
Wandern aus Leidenschaft
Ich bereiste die Britischen Inseln von Nord nach Süd und von Ost nach West. Schnell stellte ich fest: Die schönsten Ziele sind nur zu Fuß erreichbar. So wurde das Wandern in Großbritannien (in meiner Familie kein üblicher Zeitvertreib) erst ein Mittel zum Zweck – und dann zur Leidenschaft.
Leidenschaft wird zum Beruf
Immer und immer wieder fuhr ich vor allem nach Großbritannien, denn dort war (und ist) die Infrastruktur zum Wandern einfach optimal. Von den Kanalinseln bis zu den Shetlandinseln habe ich in den letzten 30 Jahren fast jede Ecke erwandert. Vor zehn Jahren machte ich meine Passion zum Beruf. Seitdem leite ich Wanderreisen in allen Landesteilen für den Berliner Reiseveranstalter Boundless. Und meine Antwort auf den Brexit war, meinen Lebensmittelpunkt nach Wales zu verlegen, bevor mir die Tür vor der Nase zugeschlagen werden konnte. Heute wohne ich in Wales im Nationalpark der Brecon Beacons (Bannau Brycheiniog, wie er offiziell bei den Walisern heißt), und noch immer ist das Wandern in Großbritannien meine große Leidenschaft.
Ein Netzwerk aus Trampelpfaden
Mich fasziniert die Zugänglichkeit der Landschaft: Ein dichtes Netz vieler kleiner, historisch entstandener Trampelpfade überzieht das ganze Land und eröffnet endlose Wandermöglichkeiten. Kleine Pfade verbinden alle Orte, die der begeisterte Wanderer besuchen will. So entdeckt man unterwegs alte Burgen, kleine geduckte Gehöfte, Kirchen, die aussehen, als sei William the Conquerer bereits persönlich daran vorbeigeritten, Steinkreise, Menhire … und immer wieder atemberaubende Ausblicke. Es geht durch Wiese und Weide, Moor und Heide, über Klippe und Strand und durch Berg und Tal. Die Wege sind meist naturbelassener und schmaler als in Deutschland. Es gibt keine planierte, drei Meter breite „Wanderautobahn“, die die Landschaft durchschneidet, sondern kleinste Wiesen-, Klippen- und Bergpfade … man ist mittendrin in der Natur! Viele dieser Wege gehen zurück auf das Mittelalter (es gab hier seit 1066 keine Landreform und auch keine Verfassungsreform); manche reichen sogar zurück bis in die Bronzezeit.
Die richtige Ausstattung zur Orientierung
Man wandert hier anders als bei uns: Weniger Beschilderung, weniger Rundwanderwege. es ist ein offenes Wegenetz. In ganz Großbritannien gilt die Faustregel: Wer hier wandern möchte, sollte eine topografische Karte in kleinem Maßstabe mitführen (und interpretieren können!) Auch ein Kompass und ggf. zusätzlich ein GPS-Gerät sollten einem nicht fremd sein.
Detailgetreue Karten zeigen jeden noch so kleinen Weg
Die britischen Wanderkarten unterscheiden sich ebenfalls. Es fehlen die bei uns üblichen fett-rot markierten Wanderwege, die unsere Karten oft so dominieren, dass man kaum etwas anderes darauf erkennen kann. Britische Wanderkarten dagegen sind tatsächlich ein detailgenaues Abbild der Landschaft. Kennt man die Symbole und Schraffierungen, so kann man genau visualisieren, wie das Gelände aussieht. Wo es wie steil ist, wo man eine gute Aussicht hat, wo es bewaldet ist, wo offenes Gelände mit Mooren und Grasflächen vorherrscht, wo sich landwirtschaftliche Flächen mit Feldern und Höfen befinden.
Wanderungen mit Abstecher zum Pub
Die Wanderkarten mit 1:25.000-Maßstab sind so detailliert, dass man einzelne Feld- und Wiesenbegrenzungen wie Zäune und Steinmauern darauf erkennt, sodass man weiß, ob der Weg links oder rechts vom Zaun verläuft. Auch sieht man, wo einzelne markante Bäume stehen, wo Steinhaufen liegen oder archäologische Überreste oder Hausruinen zu finden sind. Und jeder kleinste Pfad ist darauf eingezeichnet – zusammen mit der Information, wer diesen Weg nutzen kann: Fußgänger, Reiter, Radfahrer etc. Mehr als 225.000 km Wege gibt es allein in England und Wales. Die Möglichkeiten zum Wandern in Großbritannien sind unendlich: Jede Weggabelung bietet neue Entscheidungen: die Route verkürzen oder verlängern oder doch noch einen Abstecher zum Pub? (Auch die sind praktischerweise auf der Karte eingezeichnet.)
Überall unterwegs dank dem Jedermannsrecht
Aber es kommt noch besser: In England und Wales sind landwirtschaftlich nicht-intensiv genutzte Flächen wie Bergland, Moor- und Heideflächen bis auf wenige Ausnahmen uneingeschränkt zur Nutzung für Wanderer freigegeben. Hier darf man nicht nur die zahlreichen vorhandenen Pfade nutzen, sondern auch ganz legal querfeldein unterwegs sein. In Wales betrifft es mehr als 21 % der gesamten Landesfläche! In Schottland gilt das „Jedermannsrecht“, was dem Wanderer ebenfalls ein (fast) uneingeschränktes Betretungsrecht riesiger Landstriche gestattet.
Ich habe die Freiheit, einfach drauflos zu laufen, sehr schätzen gelernt. Damit meine ich nicht nur, mir innerhalb des Wegenetzes meinen eigenen Weg zu suchen, sondern auch, abseits der Wege unterwegs sein zu dürfen.
Abseits der Wege nur für erfahrene Wanderer
Aber – man muss eines bedenken: Die Freiheit birgt auch Risiken! In weglosem Gelände ist es viel schwieriger, sein Auto wiederzufinden als einfach einem Weg zu folgen. Und selbst auf den Wegen kann die Orientierung schwierig sein, denn die Beschilderung des riesigen Wegenetzes ist i. d. R. spärlich oder gar nicht vorhanden, und die Wandergebiete sind groß. Ausnahmen stellen stark frequentierte Langstreckenwanderwege dar, wie z. B. der South West Coastal Path, der fast lückenlos sehr gut markiert ist.
Wer sich abseits der ausgeschilderten Langstreckenwanderwege oder gar komplett abseits der Wege orientieren will, sollte in Navigation gut geübt sein – auch bei schlechter Sicht! Seit der Pandemie sind mehr Gäste als zuvor in den Nationalparks und Wandergebieten unterwegs, viele mit mangelnder Wandererfahrung und -ausrüstung. Sie versuchen, sich anhand von Wanderapps mit kostenlosen rudimentären Karten und Wegbeschreibungen aus dem Internet zurecht zu finden: Die örtlichen Bergrettungsorganisationen können ein Lied davon singen, denn oft müssen sie verirrte Wanderer nachts in den Bergen suchen.
geführte Wanderreisen statt Bergrettung
Wer den eigenen Navigationsfähigkeiten mit Karte und Kompass nicht traut oder sich über Wegeführung und Sichtverhältnisse keine Gedanken machen will, für den ist eine geführte Wanderreise die einfachste Möglichkeit, die wunderschönen Landschaften Großbritanniens zu genießen. Dafür bietet Boundless, ein Spezialreiseveranstalter aus Berlin, seit über 15 Jahren selbst recherchierte Wanderreisen in kleinen Gruppen in den schönsten Ecken Großbritanniens an.
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