Friaul Italien

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Natisone-Tal

Wandern mit Begegnungen – In den Natisone-Tälern im Friaul, Italien

Bericht der Reiseleiterin Antonietta Spizzo:
“Kennst du das Land…?”

Es war Goethe, der vor mehr als zweihundert Jahren mit seinem Reisetagebuch „Italienische Reise“ eine nachhaltige Werbung für Italien schuf und von der unwiderstehlichen Anziehungskraft der mediterranen Schönheit auf die Seele des Nordens berichtete.

„Eine grüne Ecke der Julischen Voralpen“ – so beschrieb ein Botaniker die Natisone-Täler in der italienischen Region Friaul-Julisch-Venetien. Eine Ecke, die sich in Richtung Slowenien mit seinen höchsten Bergen erstreckt und dann mit tief eingeschnittenen Tälern in die friulanische Ebene abfällt. Diese Täler sind von mehreren Flüssen durchzogen. Der wichtigste Fluss ist der Natisone im Westen, nach dem das Gebiet auch benannt ist.

Alpine & mediterrane Landschaften vereint

Wenn ich die hervorstechendste Eigenschaft der Natisone-Täler nennen sollte, würde ich sagen, dass sie ein Ort sind, an dem man gleichzeitig die alpine und die mediterrane Landschaft erleben kann. In wenigen Kilometern kann man von der historischen Stadt Cividale – 100 Meter über dem Meeresspiegel – auf den Gipfel des Matajur – 1641 Meter über dem Meeresspiegel – gelangen, wo in der Ferne die Adria glänzt. Geschichte und Kultur hier, eine unberührte Welt aus Felsen und Wiesen dort. Dazwischen viele kleine Dörfer, die wie Inseln in einem Ozean aus Chlorophyll liegen. Hier besteht die Möglichkeit, einer Landschaft zu begegnen, die im Laufe der Jahrhunderte von den Menschen geschaffen wurde, mit historischen Saumpfaden, terrassierten Feldern, Heuschobern, Wiesen, Kastanien- und Obstbäumen.
Die Natisone-Täler sind aber auch ein Ort, wo man der Stille lauschen kann …

Cividale am Natisone Fluss
Friaul Matajur
In Rodda, wo die Zitronen blühen

Wir beginnen unseren Wandertag in Guspergo, einige Kilometer nördlich von Cividale, wo unsere Gruppe im Agriturismo ‚Ai Casali‘ untergebracht ist, das von Luigi und Elena, einem jungen und dynamischen Paar, geführt wird. Ich habe meiner Gruppe erzählt, dass wir heute auf ‚wilden Pfaden‘ wandern werden, und ich sehe, dass die Vorfreude groß ist. Wir gehen nicht auf markierten Alpenvereinswegen, sondern auf alten fast verschwundenen Kulturwegen, die den Talboden mit den Dörfern auf den Bergflanken verbanden.
Unser Ziel ist Rodda/Ruonac, ein Dorf mit einem ganz besonderen Karneval. Wir überwinden etwa 450 Höhenmeter vom Talboden bis zum höchstgelegenen Dorf, wo wir bei Michela und Antonio, einem Maskenschnitzer, zu Mittag essen. Mit den Fahrrädern, die uns von unserer Unterkunft zur Verfügung gestellt werden, erreichen wir in wenigen Minuten die Haltestelle vom Linienbus nach Stupizza, dem letzten Dorf vor Slowenien im Natisone-Tal.

magische Wesen der Natisone-Täler

Als wir auf ein Schild stoßen, das uns den „Weg der Krivapeta“ zeigt, stellen sich meiner Gruppe viele Fragen. Wer sind diese magischen Wesen aus den Natisone-Tälern? Laut der Legenden sind es die weisen Frauen der Wälder und der Quellen, die den Menschen viel Wissen beigebracht haben, wie das Weben, das Sammeln von Heilkräutern, das Backen von Brot und die Herstellung von Käse. Wer weiß, ob wir heute einer von ihnen begegnen?

Wir gehen ein Stück durch Wiesen und Gemüsegärten, dann zweigt ein Graspfad ab, der über eine Reihe steiler Stufen in den Wald hinaufführt. Der schmale Pfad macht einige Serpentinen und überquert dann nacheinander drei hohe Trockenmauern mit einem ausgeklügelten System von vorspringenden Steinen,
die Stufen bilden. Überall erkennen wir die Reste der terrassierten Felder und die Spuren der ehemaligen Bauernarbeit. Der Wald ist noch jung.

Karneval Natisone
Natisone
Die Häuser von Domenis

Bald darauf erreichen wir die Häuser von Domenis/Domejza: An einer Kurve werden wir von einem eigentümlichen Gebäude mit einer großen, von drei eleganten Säulen getragenen Veranda begrüßt. Ich weise meine Gruppe darauf hin, wie groß die Häuser sind und wie raffiniert ihre Architektur ist. Der Weg führt zurück in den dichten Wald: Wir kommen an den Ruinen einer Kapelle und einer alten, sehr hohen Buche vorbei.

Den höchsten Punkt erreichen wir in Tumaz/Tuomac, dem ehemaligen Hauptort, der uns mit einer großen Kirche und einigen stattlichen Häusern empfängt. Obwohl Rodda heute arm und fast entvölkert erscheint, genoss es bis im letzten Jahrhundert einen gewissen Wohlstand durch den Pfirsichanbau.

“Kennst du das Land, wo die Zitronen blühen?“

Bis vor siebzig Jahren vom Talboden bis zu den höchstgelegenen Weilern war das Rosa der Pfirsichbäume die vorherrschende Farbe im Frühling. Und dass das Klima tatsächlich außergewöhnlich mild ist, zeigt die Blumenpracht vor jedem Haus, in jedem Hof. Was die Gruppe aber wirklich erstaunt, sind die Zitronenpflanzen (natürlich in Töpfen), die ihre Früchte unter dem dunkelgrünen Laub zeigen. (“Kennst du das Land, wo die Zitronen blühen?“)
Wir steigen auf einem alten Weg hinunter nach Clavora/Klavora und erreichen das Haus von Antonio und Michela. Michela, die Besitzerin des „Hauses der Masken“, erwartet uns mit einem Mittagessen, zubereitet mit den Köstlichkeiten der „Frauen der Benečija“, einer Gruppe lokaler Geschäftsfrauen, die den Verein “Gemeinsam sind wir stark” gegründet haben, um die Produkte der Natisone-Täler zu fördern.

Natisone Veranda
Natisone Haus
Das Haus der Masken

Auf den Tellern liegen schon leckere Häppchen mit verschiedenen hausgemachten Gemüsecremes, und eine grosse Platte voll Marven, einer lokalen Spezialität aus Eiern und (vielen) Wildkräutern, deren Geheimrezept ich nicht verraten darf. Zu trinken gibt es Wein oder Holunderblütensirup. Dann gibt es eine Gemüseminestrone und einen köstlichen Birnenstrudel.

Auch Antonio erwartet uns. Er ist der Holzschnitzer, der die Masken für den Karneval von Rodda herstellt, wobei er sowohl die alten lokalen Masken studiert, als auch Modelle von anderen Karnevalen in den Alpen. Nach dem Essen erzählt Antonio von seinen Masken und den Traditionen in Rodda und beantwortet gerne die vielen Fragen unserer Gruppe.
Als es Zeit ist, aufzubrechen, begleitet uns Antonio noch ein ganzes Stück, denn die Route folgt einem alten, fast verschwundenen Weg (‚la direttissima‘), den er extra für uns von Gras und Brombeeren befreit hat.

Abstieg durch den Wald mit schwelgenden Erinnerungen

Wir steigen durch einen herrlichen Wald hinab auf einer ganz anderen Strecke als auf dem Hinweg. Diese Route bewahrt den Charme eines Weges, der heute zwar verwildert ist, aber bis in die 80er Jahre, als Rodda noch bewohnt war, von allen benutzt wurde. Antonio selbst ging auf diesen Weg hinunter, um dann mit dem Bus zur Schule zu fahren.

Wenn wir zum Schluss die Hauptstraße erreichen, setzen wir uns auf eine Mauer bei der Bushaltestelle, und während wir auf den Bus warten, wirkt diese Wanderung auf alle wie eine Zeitmaschine. Bei jedem kommen Erinnerungen hoch und vergessene Episoden werden wach, wie ein kilometerlanger Schulweg, der zu Fuß zu bewältigen war, ein ferner Karneval oder ein wildes Kraut, das die Oma benutzte. Diese Erinnerungen stellen für alle einen unerwarteten Reichtum dar.

Und morgen erwartet uns eine neue Wanderung, mit neuen Dörfern, Geschichten und Menschen…

Masken aus Holz - Natisone
Natisone

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Bilder:

Header: © Canva

Beitragsbild: © Sento Wanderreisen

Bild 1,4,6,7,8: © Antonietta Spizzo

Bild 2,3,5,9: © Sento Wanderreisen

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